mz-web.de - April 2008

Missverständnisse zu marschierenden Gitarren - Als Judas von Trotha lässt es der Dichter Per Jendryschik rocken (von Steffen Könau)

Halle/MZ. Der Mann, der sich Judas von Trotha nennt, hat sich Mühe gegeben. Und seinem Werk die Missverständnisse gleich im halben Dutzend eingebaut. "Blitzkrieghandykindergarten" nennt der hallesche Dichter Per Jendryschik das in einer freihändigen Kombination von Begriffen, die nichts miteinander zu tun haben - und damit fein illustrieren, was der Ex-Sänger der notorisch provokanten Hardcore-Band von Trotha auf seinem Solo-Debüt vorführt.

Gustaf Gründgens liest "Faust", Ludwig Erhardt lobt die Soziale Marktwirtschaft. Marschgitarren trampeln, eine Klarinette tiriliert. Dann lässt Judas von Trotha den Bariton dröhnen wie in einer Stadionhymne: "Seht sie euch an / so sehn sie aus / kahlköpfig / und verlaust" rammt er ein beliebtes mediales Vorurteil über die Jugend im Osten grob gereimt und harmonisch unangespitzt in den Boden.

Zu der Art Musik, die üblicherweise in Sachsen-Anhalt angefertigt wird, verhält sich dieses Album wie eine Platte der Sex Pistols zur "Muss i denn"-Einspielung eines Schalmeienorchesters. "Blitzkrieghandykindergarten", aufgenommen von Jendryschik, Gitarrist Pola X, Geiger Punk Polar und Techniker Mozart im halleschen Bergwerk-Studio, belehnt Rammstein und Neubauten, Rio Reiser und Robert Wyatt, mixt kantigen Hardcore-Rock mit Elektronik und Metal mit Chanson. Statt melodiefrei zu stampfen wie die Alben der alten Von-Trotha-Band, schunkelt und ohrwurmt es hier kräftig. Dabei tanzt das Opus die ganze Zeit am Rande des gähnenden Abgrundes, für leere Pose gehalten zu werden: Alles hier ist Geste, ist aufgeladen mit Bedeutung und verschränkt mit Verweisen und Anspielungen auf Literatur und Politik, Filmklassiker und deutsche Geschichte.

Die Zusammenhänge deutet der Künstler seinem Publikum nicht, er liefert sie nur und lässt den Rest offen. Unterstützt von Gitarrist Christian Sorge und Altmeister Sieghart Schubert am Keyboard gelingt dem Buchhändler und Ballettmusikkomponisten eine irritierende Historien-Ballade wie "Eine Chance in Orange", die den geschichtsträchtigen 9. November als Walzer besingt. In "Geld geil" ätzt er Kapitalismuskritik in zwei Zeilen, "Die Lokomotive von Prag" setzt dem Prager Frühling ein Denkmal, "Papageien" ist die Momentaufnahme eines Menschen in der Kleinstadt, verlassen und verloren, ein Abgesang. Die Vögel zwitschern, ein Akkordeon quengelt, nur Träume blühen im Beton. Judas von Trotha will keine Schonung, auch für sich selbst nicht: Am Samstagabend stellt er sein Werk im neuen theater Halle vor. Zur Premiere sind Schulklassen geladen, die nach dem Konzert mit dem Künstler diskutieren können.

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